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Skandalöses Verhör
Geschrieben von ritzorothea
28.11.2011 11:45 ( 13346 x gelesen)
WEINHEIM, 18. NOVEMBER 2011
Skandalöses Verhör
Weinheimer Schülerin siegt im bundesweiten Geschichtswettbewerb
Den Geschichtspreis des Bundespräsidenten hat eine Abiturientin aus Weinheim gewonnen. Constanze Wollenweber recherchierte ein skandalöses Verhör von rund 200 Frauen nach einer Fehlgeburt.
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Gymnasiastin Constanze Wollenweber im Rückblick auf den Umgang mit verdächtigen Frauen 1951: Einfach dankbar, dass ich heute lebe. Foto: David Ausserhofer
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Constanze Wollenweber (18) hat das Thema zunächst gar nicht richtig begriffen. Der Geschichtslehrer hatte wohl auch Schwierigkeiten zu vermitteln, worum es beim "Frauenverhör von Weinheim" konkret gegangen ist. Doch als die Abiturientin am Werner-Heisenberg-Gymnasium Weinheim (Rhein-Neckar-Kreis) sich etwas eingehender mit merkwürdigen Listen und einer noch seltsameren Polizeiaktion befasste, "habe ich mich als Frau fast persönlich angegriffen gefühlt".
Auf Anregung der Stadtarchivarin Andrea Rößler untersuchte die in Mannheim lebende Gymnasiastin für den Geschichtswettbewerb unter dem Titel "Ärgernis, Aufsehen, Empörung - Skandale in der Geschichte" einen Vorfall aus dem Jahr 1951. Am 15. und 16. Februar wurden damals rund 200 Frauen aus Stadt und Umland ins Rathaus bestellt, wo eigens für das Verhör 14 Räume eingerichtet worden waren. Worum es ging, wurde den Frauen zunächst vorenthalten. Sie mussten alles stehen und liegen lassen, wurden vom Arbeitsplatz abgeholt oder aus der Küche oder vom Krankenbett eines Angehörigen. Es spielte auch keine Rolle, dass sich während der mehrstündigen Abwesenheit der Mutter niemand um die fünf Kinder kümmern konnte.
Im Rathaus erfuhren die Frauen zwar, dass sie sich wegen einer Fehlgeburt zu rechtfertigen hatten. Eine Aufklärung über ihre Rechte gab es allerdings ebenso wenig wie über die wahre Absicht des Verhörs. "Haben sie abgetrieben", lautete stets die stereotype Frage.
Hintergrund der skandalösen Aktion war eine angeblich auffällige Häufung von Fehlgeburten. Ein Weinheimer Arzt hatte deshalb dem Kreisgesundheitsamt mitgeteilt, "dass mehrere Abtreiberinnen tätig sein mussten". Die Staatsanwaltschaft Mannheim übernahm die Ermittlungen. Dabei berief sie sich auf das Nazi-Gesetz zur "Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933. Demnach war "jede Unterbrechung der Schwangerschaft" zu melden, ebenso "binnen drei Tagen" eine Fehl- oder Frühgeburt. Das Gesetz galt zwar nach 1945 formell nicht mehr, doch Baden-Württemberg hatte den betreffenden "Artikel 12" beibehalten, fand Constanze Wollenweber heraus.
Auf 50 Seiten rekonstruierte sie, was damals geschah. Sie stützte sich dabei im Wesentlichen auf die Unterlagen des Stadtarchivs, auf Akten, Zeitungsartikel und Beschwerdebriefe empörter Frauen über diese "unmenschliche Sauerei", wie eine Hebamme schrieb. Die Namen auf den Briefbögen mussten geheim gehalten werden. Gespräche mit Zeitzeugen habe es deshalb nicht gegeben. Auch bei Recherchen im persönlichen Umfeld kam die Nachwuchshistorikerin nicht weiter: "Alle Leute, die ich kannte, wussten von nichts." Über den Geist der damaligen Zeit ließ sich die forschende Schülerin von ihren Großeltern berichten. 1951 sei es sehr wichtig gewesen, "der Norm zu entsprechend und bloß nicht aufzufallen", hat sie gelernt.
Die Meldepflicht von Frühgeburten wurde im April 1951 vom Landtag aufgehoben. "Nur durch öffentlichen Druck konnten solche gravierenden Folgen wie Gesetzesänderungen erreicht werden", schrieb Wollenweber. Ihre persönliche Erkenntnis: "Ich bin einfach dankbar, dass ich heute lebe."
Constanze Wollenweber hat nicht nur das Tabuthema - "die Frauen haben sich schuldig gefühlt, obwohl sie für eine Fehlgeburt ja nichts konnten" - nach wissenschaftlichen Maßstäben aufgearbeitet. Sie hat auch noch einen fiktiven Kurzroman auf 17 Seiten über die "Frauenfänger von Weinheim" verfasst. Ob daraus ein Buch entstehen könnte oder gar ein Film, vielleicht ein Theaterstück - sie weiß es noch nicht: "Erstmal ist im Frühjahr das Abi dran."
Die junge Historikerin hat mit ihrer Arbeit bereits den mit 250 Euro dotierten Landespreis gewonnen. Heute bekommt sie mit dem Bundespreis von Bundespräsidenten Christian Wulff in Berlin 2000 Euro. Damit will sie einen Auslandsaufenthalt finanzieren.
Redaktion: HANS GEORG FRANK
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